Warum wir eine menschenwürdige Arbeitswelt brauchen, um psychisch gesund zu bleiben

Warum wir eine menschenwürdige Arbeitswelt brauchen, um psychisch gesund zu bleiben

In der Gestalttherapie sagt man, dass die Neurose eines Menschen (also sein psychisches Leiden) eine gesunde Antwort auf ein krankes Umfeld ist. Um unser psychisches Wohlergehen zu verbessern, müssen wir also auch auf der gesellschaftlichen Ebene ansetzen, nicht nur auf der individuellen Ebene. In diesem Blogbeitrag möchte ich vor allem auf unsere Arbeitswelt eingehen, die ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft ist.

Leistung und psychische Krankheit

Unsere derzeitige Gesellschaft richtet Arbeit primär am Wert „Leistung“ aus. Das fordert viele Opfer. Überdurchschnittlich viele Menschen mit psychischen Krankheiten sind arbeitslos. Das liegt meiner Beobachtung zufolge zum Einen daran, dass sich Menschen durch die heutige Lebens- und Arbeitswelt leicht überfordert fühlen. Entwickeln sie dann ein psychisches Leiden wie eine Angststörung oder eine Depression, passen sie nicht mehr in das strenge 40-Wochenstunden-Arbeitsmodell und fallen heraus. Zum Anderen können arbeitslose Menschen aufgrund der Ohnmacht, die sie im derzeitigen Arbeitslosensystem erfahren, psychisch krank werden.

Was die Hirnforschung uns sagt

Das Modell der 40-Stunden-Woche ist längst überholt und dennoch wird in vielen Ländern an diesem Modell weiterhin festgehalten. Studien haben gezeigt, dass sich das menschliche Gehirn nicht länger als 5 Stunden pro Tag konzentrieren kann. Australische ForscherInnen fanden heraus, dass das Gehirn nur 25 Stunden pro Woche fit bleiben kann. Ab einer Arbeitswoche von mehr als 40 Stunden wurden die Menschen in den Studien unaufmerksamer und gute Ideen blieben aus. HirnforscherInnen haben herausgefunden, dass Phasen von Entspannung für Menschen sehr wichtig sind, da wir nur in Ruhezeiten Gelerntes verarbeiten können und sich Fähigkeiten wie Empathie und Kreativität in diesen Zeiten entwickeln. Viele weltbewegende Ideen entstanden in Zeiten des „Nichtstuns“. Dabei ist der Begriff des „Nichtstuns“ eigentlich unpassend, denn die Hirnforschung zeigt, dass das Gehirn in Ruhephasen aktiver ist als in Zeiten rationaler Konzentration.

Arbeit in anderen Teilen der Welt

Traditionell lebende Aborigenes in Australien arbeiten im Schnitt drei bis vier Stunden pro Tag, wie ethnologische Studien gezeigt haben. Den Rest des Tages verbringen sie mit kreativen und sozialen Tätigkeiten wie Unterhaltung, Singen oder Tanzen. All dies sind Tätigkeiten, die unserem Körper Entspannung und Wohlbefinden vermitteln. Eine ausgeglichene Balance zwischen Anspannung und Entspannung ist in unserem 40-Stunden-Leistungs-Arbeitsmodell nicht möglich, noch viel weniger für Menschen mit zusätzlichen Verpflichtungen wie Kinder- oder Altenbetreuung. Bei immer mehr Menschen führt dieses Gefühl zu einer chronisch empfundenen Ohnmacht und einer mangelnden Gestaltungsmöglichkeit des eigenen Lebens. Das so genannte „Burn out“ und/ oder Arbeitslosigkeit kann eine Folge davon sein.

Schritte in Richtung Lösung

Nicht nur aus menschlich-psychischer Sicht müssen wir unser Arbeitsmodell überdenken, sondern auch aus technisch-wirtschaftlicher Sicht ist es notwendig. Maschinen ersetzen immer mehr menschliche Arbeitskraft. Durch den Einsatz von Maschinen produzieren wir heute schon alle notwendigen Güter in halber Zeit verglichen mit dem Jahr 1960. Obwohl wir genügend produzieren und Arbeit für alle da wäre, ist unsere Gesellschaft in Pole gespalten: Auf der einen Seite viele überarbeitete und erschöpfte Menschen, in deren Leben es kaum Platz für andere Dinge als Arbeit gibt und auf der anderen Seite unterbeschäftigte, sich oft wertlos fühlende arbeitslose Menschen.

Die Lösung liegt in der Mitte. Arbeitszeit müsste gerechter aufgeteilt werden auf alle. Werte sollten der Zufriedenheit der Menschen dienen. Wie sich in den letzten Jahren gezeigt hat, hat der Wert „Leistung“ hohe Kosten für die Gesellschaft und die Menschen verursacht, was sich zum Beispiel an krankheitsbedingten Arbeitsausfällen oder der „Burn-out-Problematik“ zeigt. Glücklicherweise erkennen immer mehr Menschen, dass es nur wir Menschen selbst sein können, die unsere Gesellschaft zu unseren Gunsten verändern können. Niemand außer uns selbst kann das tun. Erfreulicherweise bekommen die Werte „Lebenszufriedenheit“ und „Gesundheit“ immer mehr Raum in der Arbeitswelt und anderen Bereichen unserer Gesellschaft.

 

Bildnachweis: Bigstock/ VadimGuzhva

Quellen:

Lisa Breit, Bernadette Redl: Zwölf Stunden Arbeit. Was passiert im Gehirn? https://www.derstandard.de/story/2000073503205/zwoelf-stunden-arbeit-was-passiert-im-gehirn [letzter Zugriff 15. 02. 2018]

Ute Scheub: Die Muse der Musse. http://www.zeitpunkt.ch/news/artikel-einzelansicht/artikel/die-muse-der-musse.html [letzter Zugriff 15. 02. 2018]